Dann bebte die Erde und nichts war mehr, wie es vorher war.

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«Die Erde bebte und wankte, und die Grundfesten der Berge bewegten sich und bebten, da er zornig war.» (Psalm 18:8)

 

Ein strahlend heller Frühlingstag mit milden Temperaturen. Der Winter war so regnerisch gewesen, wie schon seit Jahren nicht mehr. Der Wasserstand des Kinneret zeigte heute -212.74 m. Dieser «Höchststand» war zuletzt im Mai 2017 gemessen worden.

Ein Grund, in den Norden zu fahren und sich ein schönes Wochenende zu machen. Halb Israel schien unterwegs zu sein, um nach der langen Regenperiode endlich wieder einen Ausflug zu unternehmen. Die Nebenstrassen konnten das grosse Verkehrsaufkommen fast nicht bewältigen.

Am Ziel angekommen war da auf einmal dieses unheimliche Grollen ganz tief unten in der Erde. Man konnte es «hören», mit den Füssen, mit dem Zwerchfell und dann irgendwann auch mit den Ohren. Erst weit entfernt und weniger als eine Sekunde andauernd. Dann kam es wieder, einmal, mehrmals, immer stärker werdend. Der See beginnt unruhig zu werden.

Unruhe, Angst. Das war keine der bekannten Arten von Erdbeben mit leichten, fast nicht spürbaren Geruckel. Diesmal war es etwas anderes.

Nur fort von hier, weiter nach oben, da wo es keine Gebäude mehr gibt. Freies Gelände. Die Beine gehorchen nicht, sie werden von der wackelnden, sich aufbäumenden und dann wieder kollabierenden Erdoberfläche weggerissen. Die Luft brennt in den Lungen. Weiter, nur weiter, hier ist es noch nicht sicher. Endlich liegen die Häuser weit zurück.

Die Erde scheint wieder sicher zu sein. Wie viele Minuten waren vergangen, seit das grosse Beben begann? Es waren nur unglaubliche drei Minuten. Doch da war noch das Nachbeben gewesen, nicht mehr ganz so stark. Es kam in drei weiteren Wellen.

Und dann nichts als Ruhe. Unheimliche Ruhe. Die Luft ist voller Staub, der das Atmen schwermacht.

Ein Blick nach unten auf die Stadt zeigt ein Bild der Verwüstung.

Dort wo die modernen Siedlungen am Hang oberhalb vom See stehen, ist es weniger dramatisch. Dort befindet sich auch die eigene Ferienwohnung. Weiter unten am See, in der Altstadt bis hinüber weiter nördlich über die neuen Hotelanlagen und Kibbuzim am See bis zur Ausgrabung von Magdala liegt dicker Dunst über allem, ebenso wie über den Gebieten weiter im Süden, wo der erste Kibbuz Dagania liegt, bis hinüber zur historische Stadt Bet She’an. Die behäbigen breiten Ausflugsboote liegen wie Kinderspielzeug übereinander geworfen mitten in der starken Gischt. Erste Explosionen sind zu hören, erste Brände breiten sich rasend schnell in den verwinkelten Gassen der Altstadt aus.

 

So, oder ähnlich könnte sich ein grosses Erdbeben abspielen. Niemand, so sagt Prof. Dr. Amotz Agnonvon der Hebrew University in Jerusalem, könne wissen «Wann, wo, und, in welcher Stärke uns das nächste Erdbeben treffen wird.» Prof. Agnon, einer der führenden Wissenschaftler im Bereich Erdbeben und Geodynamik, kann mit seinen Mitarbeitern, die nicht nur in Jerusalem, sondern auch an der Uni Tel Aviv und am Negev Institut für Geoinformatik arbeiten, Rückschlüsse aus der Vergangenheit ziehen und Prognosen für die Zukunft machen.

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Die Schichtungen zwischen ruhigen und „gestörten“ Ablagerung lassen deutliche Rückschlüsse auf lange zurückliegende Erdbeben zu

Untersuchungen von Sedimenten in Tropfsteinhöhlen geben verlässliche Informationen, in welchen Abständen grössere und kleinere Erdbeben zu erwarten sind. Diese Informationen werden durch Untersuchungen an Abbrüchen am Ufer des Toten Meeres bestätigt. In beiden Fällen zeigen «Verwirbelungen» der ansonsten linearen Sedimentformation klar auf, wann es zu einem grösseren Erdbeben gekommen ist.

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In dieser Aufnahme wird die „Wellenbewegung“ eines Erdbebens deutlich sichtbar.  Die Probe stammt vom Ufer des Toten Meeres

Seine beruhigende Aussage ist: Erbeben, die grosse Schäden anrichten, finden nur durchschnittlich alle 10.000 Jahre statt. Allerdings ist die Abweichung von der Norm +/- 5.000 Jahre. «Und wir befinden uns gerade am Beginn dieser 5.000 Jahre!»

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Das sind keine besonders guten Neuigkeiten! Was also tun? Hinsetzen, warten, wie das Kaninchen vor der Schlange?

Immerhin verläuft quer durch Israel der Jordangraben, der Teil des grossen afrikanischen Grabenbruchs ist. Seit Millionen Jahren reiben sich die Arabische und die afrikanische Platte aneinander. Mit einer Bewegung von einem halben Zentimeter pro Jahr verschieben sie sich in gegenläufiger Richtung.

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Die jeweils erste und zweite Aufnahme ist ident. Die erste, vom 28.02.19 verzeichnet nur  Beben der Stärke 2 und 3. Das jeweils zweite Bild erfasst nur Beben mit einer Stärke zwischen3.5 und 4, sowie wenigen Beben der Stärke 5 im Zeitraum 1984 – 2019.

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Die dritten Bilder erfassen Beben im Zeitraum von 1900 bis 2019 in der Stärke zwischen 4 und 5 (oben ) und 5 bis 6 (unten). Klar ersichtlich wird bei allen Abbildungen die Häufung im Jordangraben, im Roten Meer und rund um den Sinai.

Das letzte grosse Beben fand am 11. Juli 1927 statt. Das Beben, dessen Epizentrum nördlich vom Toten Meer lag, hatte eine Stärke von 6.3 und verursachte massive Schäden in Jerusalem, Jericho, Ramallah und Tiberias. 500 Menschen kamen bei dieser Katastrophe ums Leben. Als Ursache für das Beben wird angenommen, dass sich die beiden Kontinentalplatten spontan mit mehr als 50 cm bewegten.

In den vergangenen Wochen kam es wieder zu einer Häufung von wahrnehmbaren Beben, die aber keinerlei Schaden anrichteten.

Dr. Eli Jaffe,stellvertretender Generaldirektor von Magen David Adom (MDA/ Mada) ist überzeugt, dass seine Organisation die richtigen Werkzeuge in der Hand hat, um auch im wirklich «schlimmsten Fall» über die richtigen Hilfsmittel und Ressourcen verfügt und niemand in Israel ohne Hilfe bleiben wird. Dennoch, er muss zugeben, keinerlei praktische Erfahrung in Bezug auf grosse Erdbeben zu haben.

Auch für ihn gilt: «Wir haben keine Ahnung wann, was, wo in, welcher Stärke geschehen wird.»

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Zahl der bei einem grossen Beben der Stärke 7 erwarteten Opfer in Israel.

Wenn Dr. Eli Jaffe nach dem weiter oben virtuell geschilderten Erdbeben oberhalb von Tiberias stehen würde, dann würden jetzt bei ihm ganz professionell einige Aktionen ausgelöst werden, die jeder der unzähligen freiwilligen und professionellen Mitarbeiter von MDA immer wieder trainiert. Man muss dabei bedenken, dass im Falle eines starken Erdbebens möglicherweise viele Strassen nicht mehr befahrbar oder sogar nicht mehr vorhanden sind. Die Stromversorgung wird ebenso wie die Versorgung mit Frischwasser stark eingeschränkt sein. Die Kommunikation mit Mobiltelefonen oder Funkgeräten bricht zusammen, sobald die entsprechenden netzunabhängigen Batterien aufgebraucht sind.

Es gibt daher keine hierarchischen Anweisungslinien mehr, jeder muss für sich selber entscheiden und autonom handeln. Grundsätzlich gilt bei jedem Einsatz, die Rettung und Behandlung von Familienangehörigen und Freunden hat, sofern sie sich in erreichbarer Nähe befinden, immer den Vorrang vor anderen Personen. Ebenso darf das eigene Leben nicht gefährdet werden.

Schäden werden in drei Kategorien eingeteilt, je nachdem, wie lange ein mögliches Hilfeszenario dauert. A – sofort verfügbar, keine, oder nur sehr geringe strukturelle Schäden. B – zeitlich auf max. 48 Stunden beschränkter Einsatz, keine Verschütteten, Häuser können, mit entsprechenden Vorsichtsmassnahmen noch betreten werden. Keine Brände. C – Katastrophe, Einsatz von einer bis zu mehreren Wochen. Kollabierte Häuser, schwer löschbare Brände. Zahlreiche Verschüttete, Einsatz von schwerem Gerät notwendig, medizinische Behandlung unter schwersten Bedingungen. Einsatz von Suchhunden. Je nach Klima Seuchengefahr. Die Überlebenszeit von Verschütteten beträgt normalerweise nur wenige Stunden.

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Bestenfalls kann der Mitarbeiter sofort mit der Hilfeleistung beginnen. Die dazu notwendigen Utensilien hat er in der Regel immer bei sich, um jederzeit einsatzbereit zu sein. Sobald ein Mitarbeiter nicht mehr vor Ort gebraucht wird, begibt er sich zur nächsten Station, um von dort aus weiter zugewiesen zu werden. In grösseren Städten sind zu diesem Zweck auch Sammelpunkte definiert worden.

Erdbeben sind sehr regional eingeschränkte Naturkatastrophen. Um eine ehestmögliche Versorgung der Opfer zu gewährleisten, werden, zentral organisiert, alle zur Verfügung stehenden Rettungsfahrzeuge zum Einsatzort geschickt. Das Gleiche gilt für alle zur Verfügung stehenden Ersthelfer, Paramedics und Ärzte. Selbstverständlich bleibt immer eine notwendige Mannschaft samt Fahrzeugen «daheim».

 

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Jeder kann zu den wichtigen Informationen beitragen: Wer wurde wann, wo und in welchem Zustand gesehen. Fotos, die jeder machen kann, helfen Opfer und ihre Familie wieder zusammen zu bringen oder zumindest ihr Schicksal zu klären. In dieser Situation ist Fotografieren keine Voyeurismus, sonder ein notwendiges Hilfsmittel.

Insgesamt verfügt MDA, seit 2006 Mitglied vom Internationalen Roten Kreuz, über:

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MDA wird nur mit 6% des Budgets staatlich gefördert und lebt von den angebotenen Dienstleistungen. In 19 Ländern auf allen Kontinenten haben sich selbstständige Vereine gebildet. Sie suchen unermüdlich Geldgeber. Mit den Geldern, von Kleinstbeträgen bis hin zu Erbschaften, werden nicht nur die Fahrzeuge finanziert. Auch neue Stationen in bisher schwach ausgebauten Regionen können mit diesen grosszügigen Spenden erneuert oder neu gebaut werden.

Weitere Informationen gibt es hier:

https://www.mdais.org/en

https://www.mda-schweiz.ch/index.php/DE/home

Noch ganz neu ist die bemerkenswerte App «My MDA». Jede Form der Kommunikation zwischen dem Patienten und der Leitzentrale von MDA ist via Smartphone problemlos möglich. GPS Daten führen das Rettungsteam direkt zum richtigen Ort, mit der freigegebenen Kamera können sich die Ersthelfer schon vor dem Eintreffen einen Überblick über die Situation schaffen. Je schneller die Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose!

Magen David Adom – das Ziel ist, mehr Leben zu retten.

© Sofern nicht anders gekennzeichnet: Folien MDA / Dr. Eli Jaffe und Hebrew University / Prof. Dr. Amotz Agnon beim Vortrag in Zürich am 4. März 2019

 

© esther scheiner, israel

 

 

 

 

 

 

 

3 Kommentare

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3 Antworten zu “Dann bebte die Erde und nichts war mehr, wie es vorher war.

  1. Pingback: Dann bebte die Erde und nichts war mehr, wie es vorher war. — estherstagebuchauszichronyaacov | German Media Watch-Blog

  2. Herbert

    Very interested Dear Esther,whai i like in MDA and why i choose them instead to KKL is their independance to the government contrarily to KKL highly corrupted.Second MDA is well managed with people who thinks long term
    Love to both
    Rosa & Herbert

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  3. Mathilde schrieb:

    Liebe Esther
    Das hast Du wieder einmalig schön geschrieben, leider diesen Vortrag habe ich nicht gehört.
    Und die Erde bebte-das kann überall kommen nur wir denken nicht dran ,d.h. wir sind viel zu viel mit uns selbst beschäftigt.» Und dann wird nicht mehr wie es war»- die beste Organisationen und Warnungen haben dann wenig Wirkung . Wir flüchten ins All nach dem wir unsere schöne Erde traumatisiert haben. Ja Sein Zorn muss kommen über uns» und es wird nicht mehr wie es war.» Und kein Compi kann uns helfen.
    Warum hat der Mensch so wenig Empathie für unsere Natur -weil er immer weniger nachdenkt.
    liebe Esther ich danke Dir für diese schöne Darstellung.
    Liebe Grüsse Mathi

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