5. Tevet 5781
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So oder ähnlich muss man die Worte unseres PM verstehen, der seine israelischen Mitbürger auf Reisen in die VAE meint vorzubereiten zu müssen. Ganz so, als wären wir ein Volk von Ignoranten, die sich nicht zu benehmen wüssten.
Leider ist der Ruf der israelischen Touristen im Ausland und nota bene auch im Inland vorauseilt, katastrophal. Laut sind wir immer bemüht, an jeder Schlange die pool position mittels heftigem Ellebogeneinsatz zu erreichen. Umweltverschmutzer, die noch nichts von der segensreichen Erfindung des Abfalleimers gehört haben. Weder in den Städten, noch am Strand, noch an einem weit entfernten Punkt auf der Welt. Unsere Kinder sind laut und unerzogen. Und würden unsere Hunde, überwiegend Retriever, uns auf unseren Ferienreisen begleiten, so würden sie ungeniert ihre Hinterlassenschaften überall dort deponieren, wo garantiert ein nichts ahnender Passant hineintritt. Als Autofahrer stellen wir sowieso ein Risiko für das Leben anderer dar. Kurz, wir sind diejenigen, die sich absolut unmöglich benehmen.
Ganz so ist es natürlich nicht. Unter unserem 9 Millionen Völkchen gibt es wahrscheinlich ebenso viele Nudniks wie in jedem anderen Land. Ebenso viele, oder ebenso wenige. Menschen, die andere solange nerven, bis diese entnervt aufgeben. Die anderen Löcher in den Bauch fragen, alles hinterfragen, alles infrage stellen. Der Nudnik ist das Gegenstück zum in der Eifel gebräuchlichen Leidsgeheier. Nicht böse, sondern einfach nur nervig.
Und genau vor diesem Verhalten hat unser PM wohl Angst.
Vielleicht musste er einsehen, dass die Auswahl eines «besonderen» Desserts, auf das er so stolz war, einen Affront darstellte. Im Jahr 2018 wollte er den japanischen PM Shinzo Abe wohl stark beeindrucken. Küchenchef Moshe Segev füllte dafür speziell designte Schuhe aus Metall mit Süssigkeiten. Der japanische PM und seine Ehefrau machten gute Miene zum bösen Spiel. Schuhe gelten in der japanischen Kultur als abstossend, sie werden nie, unter keinen Umständen in eine Wohnung hineingenommen! Mitglieder der japanischen Delegation fühlten sich beleidigt. Ein nicht genannter israelischer Diplomat betonte, dass Aussenministerium sei vom Menu nicht informiert gewesen. Die Entscheidung sei nicht nur «unsensibel und dumm» gewesen, es wäre so, «… als würde man einem jüdischen Gast Schokolade in einem Gefäß in Form eines Schweins servieren.»

Sicher in unauslöschlicher Erinnerung sind die diversen Fettnäpfchen, in die die israelische «First Lady» Sarah im Laufe der Jahre trat.
Im August 2019 reiste sie zwar in einem Hosenanzug in den ukrainischen Nationalfarben Hellblau und Gelb an, um den Land Respekt zu erweisen. Bei der Ankunft auf dem Flughafen verliess sie jedoch jedes diplomatische Gespür. Das als Willkommensgeschenk angebotene Brot warf sie auf den Boden. Eine grobe Unhöflichkeit und Beleidigung. Bereits auf dem Flug nach Kiev machte sich Sarah unbeliebt. Sie fühlte sich in der Wichtigkeit ihrer Person vom Kapitän des Flugzeuges zu wenig geehrt. Er hatte es verabsäumt, sie eigens namentlich zu begrüssen. Um sich zu beschweren, wollte sie gewaltsam in das abgesicherte Cockpit eindringen, wurde aber von den Flugbegleitern daran gehindert.
Im Dezember desselben Jahres besuchte das Ehepaar Netanyahu Portugal. Neben zwei kurzen offiziellen Treffen stand vor allem ein ausgiebiger Bummel durch die Stadt und ein Restaurantbesuch auf dem Plan. Bei einem kurzen Fotostopp zeigten beiden wenig Taktgefühl. PM Netanyahu lehnte sich leger an das Denkmal für die Opfer des Massakers an Juden von 1506 und checkte seine Mails im Handy. Seine Frau beantwortete den Journalisten die Frage, welche «Inquisition» schlimmer sei, die ihres Mannes durch die Medien oder die der Juden im Mittelalter. Eine seltsame Frage, fürwahr! Aber die Antwort war noch seltsamer: “Oh, das hat was, ich weise die Frage nicht ab. Ich bin glücklich zu hören, dass Sie verstehen, dass all dies wirklich eine Inquisition für uns ist!»

Um dem einfachen Volk zu helfen, gar nicht erst in peinliche Situationen zu geraten, wurde also eine Broschüreerarbeitet. Im ersten Kapitel werden politische Aspekte der VAE vorgestellt, der zweite Teil beschäftigt sich mit soziokulturellen Fragen. Kulturell-geschäftliche Schwerpunkte und Verhaltensregeln zeigt das dritte Kapitel auf, während der nächste Teil sich mit den Merkmalen des Tourismus in den Golfstaaten beschäftigt. Ein eigenes Kapitel ist der Bedeutung Jerusalems gewidmet.
Hier werden nur die wesentlichen Vorschläge aufgeführt, die man in verschiedenen Situationen unbedingt vermeiden soll.
- Allgemeine Regeln
- Selbst, wenn es die Lage am persischen Golf nahelegt, die VAE identifizieren sich selber ausschliesslich als «Arabische Golfstaaten». Damit wird die arabische Vormachtstellung gegenüber dem Erzfeind Iran ausgedrückt.
- Über politische Beziehungen, insbesondere über die zu den USA sollte nicht gesprochen werden. Dieses Thema ist ausschliesslich der Regierung vorbehalten.
- Trotz der neuen Verträge besteht noch ein Grundmisstrauen gegenüber Israel. Über palästinensische Themen sollte nicht gesprochen werden.
- Überhaupt müssen Themen über Politik, insbesondere über die Vorzüge von demokratischen Regierungsformen unbedingt ausgeklammert werden. Die VAE sind kein demokratischer Staat.
- Jede Infragestellung der Legitimität und jede Kritik am Königshaus ist strengstens verboten!
- Politische Parteien sind in den VAE nicht vorhanden. Die Bürger identifizieren sich nicht über politische Ausrichtungen, sondern über ihre Stämme und über familiäre Bindungen.
- Ausländische Arbeitnehmer unterschiedlichster Nationalitäten werden nie Kommentare über ihre Behandlung durch Regierungsstellen abgeben. Entsprechende Gespräche sollten nicht provoziert werden.
- Frauen werden im beruflichen und/oder gesellschaftliche Umfeld oft als Beweis angeführt, wie liberal die Gesellschaft der arabischen Golfstaaten mit dem Thema «Empowerment of women» umgeht. Der Begriff «Feminismus» hingegen ist verpönt und negativ besetzt.
- Themen rund um die LGBT Problematik sind unerwünscht und werden in der Regel nicht toleriert.
- Jede Art von Diskussion über den Islam ist zu vermeiden. Die Religion darf nicht infrage gestellt werden.
- Verhalten mit Verhandlungspartnern
- Jeder Gesprächspartner, vor allem im wirtschaftlichen Umfeld repräsentiert immer die gesamte Gruppe, der er angehört. Er wird daher sehr sensibel auf Unstimmigkeiten, Beleidigungen und Kritiken reagieren, die daher nie nur ihn, sondern alle Gruppenmitglieder betreffen.
- Kritische Themen wie: Frauen, Geld, Kultur, Religion und/oder Politik bei Geschäftsverhandlungen unbedingt vermeiden.
- Üblicherweise steht hinter dem einen, mit dem verhandelt wird, virtuell seine ganze Gruppe. Von daher sind ihm in Verhandlungen oft die Hände gebunden.
- Win-Lose Situationen wirken abschreckend. Besser muss versucht werden, eine gemeinsame, von allen ohne Gesichtsverlust zu akzeptierende Lösung zu finden.
- Verhandlungen dauern lange, niemals Entscheidungen über das Knie brechen.
- Geschäftliche Treffen oder gar Verhandlungen während des Fastenmonats Ramadan nur in äusserst dringenden Fällen anberaumen.
- Werden Gastgeschenke ausgetauscht, so werden diese nie unaufgefordert sofort geöffnet. Geschenke müssen angenommen werden, ein Ablehnen stellt eine grobe Beleidigung dar.
- Von Businessfrauen wird erwartet, dass sie sich an die kulturell-traditionell-religiösen Vorschriften halten. Der klassische Hosenanzug, der auch die Fussknöchel bedeckt, ist jedem Kostüm vorzuziehen. Geschlossene Pumps statt offener Sandalen oder High Heels sowie zu Röcken nicht transparente Strumpfhosen sind auch bei hohen Temperaturen angebracht.
- Auch wenn eine Geschäftsführerin die direkte Ansprechpartnerin ist, so werden die Ergebnisse von Verhandlungen nie von ihr präsentiert. Dies wird immer einem Mann überlassen. Gleiches wird auch von ausländischen Geschäftspartnern erwartet.
- In Europa und den USA beliebte zustimmende Geste «Daumen hoch» wird von ältere Emiratis als beleidigend interpretiert.
- Das Berühren des Kopfes ist ein absolutes no-go!
- Zynismus, Wörter mit doppelter Bedeutung oder ein starker Dialekt werden abgelehnt.
- Für alle geltende Regeln
- Schreien und Fluchen auf der Strasse hat auf jeden Fall zu unterbleiben
- Freizeitkleidung ausserhalb des Hotelareals oder ausserhalb des Strands gilt als unhöflich. Für die Herren gilt «smart casual», also deutlich eine Stufe über dem Freizeitlook, für die Damen Kleidungsstücke, die nicht allzu viel nackte Haut zeigen. Spaghettiträger und ultrakurze Shorts dürfen es nicht sein!
- Die so beliebten T-Shirts mit Bildern oder Schriftzügen dürfen nie in einen Zusammenhang mit Religion gebracht werden können und selbstverständlich dürfen sie auch keine anstössigen Bilder zeigen.
- Auffallende Tattoos sollten unter der Kleidung verborgen werden.
- Tänze in der Öffentlichkeit werden nicht gerne gesehen.
- Veröffentlichungen in den sozialen Medien dürfen keinen Anlass zur Kritik bieten.
- Gleichgeschlechtliche Gäste sollten im Hotel nie ein Zimmer mit Kingsize Bett buchen, sondern entweder getrennte Betten oder noch besser zwei Zimmer verlangen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Lebenspartner, Freunde oder gar Verwandte handelt!
- Gleichgeschlechtliche Paare sollten in der Öffentlichkeit jede vertraute Geste vermeiden!
- Das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit ist verboten. Das Führen von Fahrzeugen nach Alkoholgenuss stellt eine schwere Gesetzesübertretung dar und wird hart bestraft.
- Gleiches gilt für den Konsum von Drogen.
- Die Mitnahme von pornografischen Printmedien oder Filmen, sowie deren Verbreitung gilt als schwerwiegende Straftat.
Jene Touristenmengen, man sprach von etwa 10.000 Reisenden, die sich während der Chanukka Ferien aus Israel auf den Weg in die VAE gemacht haben, werden oft für Aufsehen gesorgt haben. Aber eben, Unwissenheit schützt nicht vor Strafe!
Die Bilder, die man vom Flughafen Ben Gurion sah, zeigten ganz normale Touristen. Menschen jeden Alters, jeder Gesellschaftsschicht, man sah orthodoxe Reisende, Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder.
Ziemlich sicher werden sie diesen Katalog an Verhaltensregeln nicht vor der Reise gelesen haben.
Ob ein Land, in dem man soviel verkehrt machen kann, wirklich die neue touristische und wirtschaftliche Destination für einen Durchschnittsisraeli ist, stelle ich infrage. Klar, alle wollen sich ihre Scheibe abschneiden von der neue Traumregion.
Bisher haben sich bereits viele Unternehmer aus den USA und aus Europa in der Golfregion angesiedelt. Ganz ohne Gängelband, ganz ohne den erhobenen «Na, na, na!» Zeigefinger.
Fazit: Bibi kehre erst mal vor deiner eigenen Türe und lerne gutes Benehmen im Umgang mit anderen Kulturen.
© esther scheiner, israel