Wochenabschnitt: Schmot, Exodus 1:1 – 6:1

ב“ה

24./25. Tevet 5781    8./9. Januar 2021  

Schabbateingang in Jerusalem: (Kerzenzünden) 16:12

Schabbatausgang in Jerusalem:                               17:32

Wir treffen im ersten Wochenabschnitt des zweiten Buches Mose, Exodus, auf die Nachkommen von Israel, Josef und dessen Brüdern. Israel war von seinen Söhnen in der Höhe Machpela beerdigt worden. Auch Josef hat von seinen Brüdern erbeten, nicht in Ägypten, sondern in der alten Heimat in Kana’an seine letzte Ruhe zu finden.

Bereits im ersten Satz des ersten Abschnitts steht eine bedeutsame Aussage, er beginnt mit den Worten: «Das sind die Namen der Kinder Israels.» בְּנֵי יִשְׂרָאֵל – b’nei Israel, so wird später das Volk Israel, das jüdische Volk genannt werden. Wir erleben, wie aus den einzelnen Stämmen, den Familien, ein einziges grosses Volk werden wird. 

Viele Jahre sind verflossen und alle Brüder Josefs sind verstorben. Aus den 70 Menschen, die einst nach Ägypten gekommen waren, war ein grosser Familienclan geworden. Die Prophezeiung, die Gott Abraham, Isak und Israel mehrfach gemacht hatte, hat sich erfüllt. Aber auch die erste Mitzwa, das erste Gebot, das wir im 1. Buch Mose gefunden haben: Seid fruchtbar und mehret euch.

Nach den glücklichen, erfolgreichen Jahren hat sich jedoch das Schicksal für die Israeliten gewendet.

Der neue Pharao muss sich schrecklich vor den Israeliten gefürchtet haben. Er sah, wie sie zahlreicher und zahlreicher wurden und wusste sich keinen Rat, als sie zu unterdrücken und mit Sklavenarbeit für seine Zwecke einzusetzen. 

Von den beiden ihm bekannten Hebammen Shifra und Pua verlangte er, alle männlich geborenen Kinder sofort zu töten, hingegen die weiblichen Kinder am Leben zu lassen. 

Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass die Hebammen gottesfürchtig waren und seine Befehle verweigerten. Ihre Aufgabe war es schliesslich, Leben zu erhalten und nicht zu töten. Diese zwei mutigen Frauen sind die ersten, die im neuen Buch Moses eine wichtige Rolle spielen. Die beiden sind stark genug, sich den Aufforderungen des Landesherrn und Despoten zu widersetzen. Und zwar in einer Art, dass er sie nicht sofort durchschauen konnte. 

So überlebten zunächst alle Kinder der Israeliten. Und der Familienclan wuchs ungehindert weiter. Pharao sah, dass seine Massnahmen nicht ausreichten, um die Israeliten loszuwerden und befahl nun, alle männlichen Kinder in den Nil zu werfen, so dass sie sterben würden. 

Ein Ehepaar aus dem Stamm Levi bekam einen Sohn. Die Mutter konnte ihn für einige Monate verstecken. Als dies nicht mehr möglich war, bastelte sie ein Binsenkörbchen und setzte es mit dem Baby im Nil aus. Nicht in der Absicht, das Kind zu töten, sondern im Gegenteil, um es zu retten. Die Schwester des Buben blieb in der Nähe, um zu schauen, wie es ihrem Bruder ergehen würden. Trotz ihrer jungen Jahre, sie war nur drei Jahre älter, zeigte sie Verantwortungsbewusstsein.

Damit haben wir zwei weitere mutige Frauen kennengelernt, die den Verlauf der Geschichte massgeblich beeinflussen. Yocheved, die Mutter Moses, deren Namen wir erst später erfahren und ihre Tochter Mirijam. Auch deren Namen erfahren wir erst viel später. Beide sind um das Wohlergehen des Kindes besorgt, nachdem seine Mutter es auf dem Nil ausgesetzt hat. 

Pharaos Tochter, deren Namen wir nicht kennen, kam, entdeckte das Kind und sah sofort, dass es sich um ein Kind der Israeliten handelte. Sie forderte die Schwester des Buben auf, sofort eine Amme zu rufen. Das Mädchen tat instinktiv das Richtige. Sie brachte ihre Mutter zur Tochter Pharaos. Von ihr erhielt Yocheved den Auftrag, das Kind, ihr eignes Kind zu stillen. Pharaos Tochter ist die fünfte mutige Frau, der wir in diesem Wochenabschnitt begegnen. Hätte sie nicht so beherzt gehandelt, obwohl sie wusste, ein Kind der Israeliten vor sich zu haben, wäre Moses Schicksal besiegelt gewesen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder verfügt sie über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und fühlt sich stark genug, sich dem Bruder zu widersetzen.

Als sie ihn abgestillt hatte, brachte Yocheved ihr Kind zurück in den Palast. Die Tochter Pharaos nahm ihn an kindes statt an und gab ihm den Namen Moses. Er wuchs gemeinsam mit seinen Geschwistern im Palast von Pharao auf.

Möglicherweise wurde aus dem Kind ein verwöhnter Jüngling, der Freude daran hatte, den Sklaven bei der Arbeit zuzuschauen und sich an ihrem Leid zu ergötzen. Als er aber sieht, wie ein ägyptischer Aufseher einen Israeliten misshandelte, bricht auf einmal etwas anderes in ihm durch. Nicht wissend, dass der Geschlagene ein Stammesbruder war, rächte ihn Moses, indem er den Ägypter erschlug. Natürlich war diese Reaktion weitaus übertrieben, aber das ist der erste Hinweis auf Moses’ Temperament, das wir später noch mehrfach erleben werden. Hier zeigt er sich noch zögerlich, denn er versichert sich erst, ob auch niemand da ist, um sein Tun zu beobachten. Aber es zeigt auch die innere, wenngleich auch unbewusste Verbundenheit Moses zu seiner Herkunftsfamilie. Später werden wir ihn ganz anders erleben, manchmal aufbrausend und manchmal vorschnell handelnd. Und meist ein kluger und zuverlässiger Anführer seines Volkes.

Pharao erfuhr von dem Vorfall und wollte Moses töten lassen, der daraufhin nach Midian floh. Dort trifft er seine zukünftige Frau Zippora, die Tochter des Oberpriesters Jitro. Als sie ihren ersten Sohn gebar, gab er ihm den Namen «Gershom». Die Namensgebung (Gast bin ich im fremden Land) zeigt, dass Moses sich in seiner neuen Heimat nicht richtig heimisch fühlte.

Als der alte Pharao starb, verschlechterte sich das Los der Israeliten, die Sklavenarbeit wurde immer schwerer. Da erinnerten sie sich des Gottes ihrer Stammväter und flehten ihn um Hilfe an. Sie wussten nicht, wie sie ihre Situation hätten verbessern können. Oder noch besser, wie es ihnen gelingen sollten, sich von diesem Joch zu befreien und aus Ägypten zu fliehen. Doch Gott schwieg zunächst.  

Eines Tages hatte Moses, der als Hirte unterwegs war, auf dem Berg Horeb, heute als Mosesberg auf der Halbinsel Sinai bekannt, seine erste Gottesbegegnung. In der Gestalt eines Engels sprach er ihn aus einem Dornbusch an. Dieser brannte, aber das Feuer verzehrte ihn nicht. Er brannte in sich und aus sich heraus, der Engel stand inmitten des Dornbusches und Gott sprach aus dem Dornbusch. Das Feuer manifestiert hier die Allmacht Gottes. Die absolute Fähigkeit sich in jeder Form zu zeigen, wie wir gleich sehen werden. 

«Moses, Moses!» rief er und Moses antwortete, «Hier bin ich!», «hineni!» Nach Abraham ist Moses der zweite Mensch, der von Gott angerufen wird und mit «hier bin ich» antwortet. Insgesamt finden wir 250 solche Stellen in der Tora. Immer dann, wenn die nachfolgende Situation eine ganz besondere ist. 

Gott gibt sich zu erkennen und Moses verhüllt sich aus Angst, Gott anschauen zu müssen. Dieser hatte die Klagen und Ängste der Israeliten sehr wohl gehört und verspricht, zu helfen. Aber zu seinen Bedingungen.

Moses erhält den klaren Auftrag, mit seiner Hilfe, an seiner statt die Israeliten aus der Sklaverei zu führen. Um dies vorzubereiten, schickt er ihn zu Pharao. Moses fühlt sich von dieser Aufgabe überfordert. Doch Gott beruhigt ihn und verspricht, bei ihm zu sein. Moses zweifelt, dass die Israeliten ihm so ohne  Weiteres glauben werden, wenn er mit dem Auftrag zu ihnen kommt. Und er erbittet von Gott einen Namen, den er ihnen mitteilen kann. Ein Gott ohne Namen ist ein diffuser Gott, keiner, der greifbar ist. Dieser antwortet ihm

אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה

eheye asher eheye – ich werde sein, der ich sein werde. Nur Gott ist der, der die absolute Freiheit hat, von sich zu sagen, der zu sein, der er ist, der er sein wird, der er sein will. Und er fährt fort: «Sage ihnenיְהוָה אֱלֹהֵי, der Gott eurer Väter Abraham, Isaak und Jacob schickt mich zu euch. Er hat gesehen, wie wir hier leiden. Er hat versprochen uns hinauszuführen in ein Land in dem Milch und Honig fliessen. Wenn sie dir zuhören, gehe mit drei Stammesältesten zu Pharao. Sagt ihm, der Gott der Israeliten ist uns begegnet. Lass uns drei Tagesmärsche von hier in die Wüste ziehen, um ihm ein Schlachtopfer zu bringen.» 

Pharao wird euch aber nur unter Androhung von Gewalt ziehen lassen. Wieso weiss Gott das? Pharao sieht sich als der starke Mann, der über das Schicksal der Israeliten bestimmten kann. Er ist der Macher, so sieht er sich in seinem Selbstbild. Tatsächlich bestimmt aber Gott seine Handlungen. Er ist das Werkzeug, um die Israeliten aus der Sklaverei zu befreien. Weil sie selber zu schwach dazu sind, braucht es Gewalt gegen Pharao, um den im Sinne Gottes handeln zu lassen und die Israeliten zu vertreiben. So betrachtet, ist Pharao alles andere als frei in seinem Tun. 

Moses verzweifelt immer mehr an der ihm gestellten Aufgabe und weist Gott auf seinen Sprachfehler hin. Doch es ist nicht die Stimme Moses’ die unvollständig ist. Noch ist sein Selbstkonzept, sein Selbstbild nicht so stark, dass er sich darauf blind verlassen könnte. In der Psychologie kennen wir das Konzept von «Me» und «I» des Soziologen James Mead. Vergleichbar dem «Über-Ich» und dem «Ich» bei Freud. Das starke «Über-Ich» wird geprägt und geformt von den Anforderungen, Zwängen und Normen, die dem «Ich» im Laufe des Lebens immer wieder Grenzen aufzeigen. Martin Buber, der grosse Religionsphilosoph, entwickelte das göttliche Prinzip des «ewigen Du». Moses ist noch am Beginn seiner Entwicklung, die Beziehung zu Gott, zum «ewigen Du» zu stabilisieren. Um das zu erreichen, bedarf es eines ausgeglichenen Ich/Über-Ich. Ein Kampf, den Moses, wie wir am Ende der Wüstenwanderung sehen werden, verliert. 

Aber auch das liess Gott nicht gelten, immerhin sei es nur er, der dem Menschen die Fähigkeit zu hören, zu sehen und zu sprechen gäbe. Gott wurde langsam ungeduldig. «Du hast doch deinen Bruder, den Leviten Aaron. Der ist unterwegs hierher zu dir. Leg ihm die Worte in den Mund, ich werde euer beider Mund sein und euch wissen lassen, was zu tun ist. Er wird für dich der Mund sein und du wirst für ihn Gott sein.» 

So zieht er mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen los. Nochmals fordert Gott ihn auf, alle Wunder, man könnte auch sagen Zaubertricks, die er ihn gelehrt hatte vor Pharao zu zeigen. Er wolle Pharao dazu bringen, die Israeliten nicht ziehen zu lassen. Das scheint unverständlich, kontraproduktiv zu sein. «Sag zu Pharao: Gott sagt, Israel ist mein erstgeborener Sohn, lass ihn ziehen, um mir zu opfern. Tust du es nicht, so werde ich deinen Erstgeborenen töten.»

Was folgt ist eine zunächst unverständliche Szene. Gott trifft unterwegs auf Moses und will ihn töten. Zippora aber nimmt einen Feuerstein und schneidet ihrem Sohn damit die Vorhaut ab, und berührte damit die Beine ihres Mannes. Sie erfüllt intuitiv damit eine weitere Mitzwa aus dem ersten Buch Moses. Als Mohelet fungiert sie als erste Frau, die eine Beschneidung durchführt und damit bei ihrem Sohn an den Bund erinnert, den Gott mit Abraham geschlossen hatte. Frauen als Mohelet? Ist das möglich? Offensichtlich ist die Mitzwa der Beschneidung am achten Lebenstag des Babys höher zu bewerten, als das Geschlecht der Person, die die Beschneidung durchführt. Steht kein Mohel zur Verfügung, so darf die Mitzwa auch von einer Frau ausgeführt werden. Heutzutage ist eine Mohelet meist Ärztin und Rabbinerin. Zippora ist die sechste Frau, die wir hier treffen und die massgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die Geschichte der «Kinder Israels» weiter entwickeln konnte. 

Shabbat Shalom

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