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Das arabische Wort „badawī» bedeutet «nicht sesshaft», nomadisch. Diese Bezeichnung wird allerdings von den Beduinen selber kaum benutzt. Sie nennen sich, wenn sie nomadisch leben, als «arab»in Abgrenzung zu den Nichtnomaden, die sie als «ḥaḍar» bezeichnen.
Beduinen sind Araber, muslimisch und sehen Ismael, den erstgeboren Sohn Abrahams als ihren Stammvater an. Die Mutter Ismaels war Hagar, die Sklavin von Abrahams Frau Sarah. Die Geschichte Ismaels in der Tora und im Koran sind grundsätzlich unterschiedlich. In der Tora gibt es nur mehr eine Verbindung, als Ismaels Tochter Mahalat Esau heiratet. Im Koran wird er als Prophet und Auserwählter Gottes beschrieben, der gemeinsam mit Abraham die Kaaba erbaut haben soll.
In einigen arabischen Staaten sind sie als «Bedun» (Staatenlose) diskriminiert, sie erhalten keine Papiere, können keine Schulen besuchen, kommen nicht in den Genuss von staatlichen Sozialleistungen und können auch keinen Führerschein machen. Das gilt besonders für Kuweit, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Im Süden Israels, in der Negev Wüste machten arabische Beduinen ab dem 7. Jahrhundert CE den Nabatäern die Handelswege entlang der Weihrauchstrasse streitig. Die meisten Handelsposten entlang der 2384 Km langen Route und somit das ausgeklügelte System, das die Strecke in 65 Teilstrecken unterteilte, wurde zerstört. Die Negev Wüste wurde entsiedelt und blieb, bis auf die Nabatäer Stadt Shivta für viele Jahrhunderte nahezu menschenleer.
In der 70er Jahren durfte ich die Gastfreundschaft von Beduinen erleben, die entlang der damals noch nicht so gut wie heute ausgebauten Strasse 1 von Jerusalem ans Tote Meer führte. Die Stammesmitglieder lebten in authentischen Zelten, ausgelegt mit Teppichen, über die auch schon mal das eine oder andere Schaf oder die eine oder andere Ziege hinweglief. Die Dromedare, der ganze Stolz der Familie, mussten allerdings draussen bleiben. Vor dem Zelteingang stand der Traktor und ein schon leicht rostiger Jeep. Der Tee war heiss und süss, der Humus vielleicht einer der besten, die ich jemals gekostet habe, und die Pita Brote ganz hervorragend. Ähnliches durfte ich in der nördlichen Sahara Tunesiens erleben. Unvergessliche Erlebnisse, die ich keinesfalls missen möchte.
Mitte des 19. Jahrhunderts berichtete ein Reisender von Beduinen des Gahalin Stammes, die zwischen dem Toten Meer und dem Gebiet südlich von Hebron siedelten. Es sollen etwa 150 Beduinen gewesen sein. Bis die Ottomanen das Land um 1870 übernahmen, waren sie Vollnomaden. Beim Tauschhandel auf den regionalen Märkten tauschten sie ihre Tiere aus der eigenen Zucht gegen Getreide. Ihre Haupteinnahmequelle aber war die Kontrolle über die Handelsstrassen, die durch ihr Gebiet führten. Wichtige Pilgerstrassen von Jerusalem zum Katharinen Kloster auf der Sinai Halbinsel, oder nach Mekka und Medina boten für Reisende oftmals die einzige, wenn auch gefährliche Route. So bot sich das Erheben von Geleitschutzgeldern oder Wegzoll als einfache Einkommensquelle an. Tributzahlungen von sesshaften Bauern, Plünderungen und Raubzüge gegen andere Stämme spülten ebenfalls Geld in die Kasse der Beduinen.
Jedoch endete die Zeit des relativen Wohlstands mit der Eröffnung des Suezkanals 1869, dem Bau von Eisenbahnen und der zunehmenden Beliebtheit von LKWs. All das markierte das Ende der Handelskarawanen.
Gleichzeitig strömten die ersten jüdischen Einwanderer ins Land und begannen damit, den Negev zu besiedeln. Auch die neu gezogenen Grenzen zu Ägypten und Jordanien beschränkten die bisher ungehinderten Wanderungen. Die Beduinen begannen damit Ackerbau in den umliegenden Wadis zu betrieben und wurden so langsam zu Halbnomaden.
Sowohl die Ottomanen, als auch die Briten versuchten, ein aussagekräftiges Kataster zu führen, um die Eigentumsverhältnisse sicher dokumentieren zu können. 1858 wurde das wertlose Unland (mawat) im Negev den Farmern als eingeschränktes Eigentum übergeben. 1921 gaben die Briten all jenen, die Eigentumsrechte auf ein Landstück erheben wollten, zwei Monate Frist, dies zu tun. Die Landstücke, auf die niemand einen Anspruch erhob, gingen in unwiderrufliches Staatseigentum über. Was die Beduinen dazu brachte, das Land nicht für sich registrieren zu lassen, hat mehrere Gründe. Der eine lag in einem Systemfehler. Wenn im Norden und im Zentrum des Landes die Information über die jeweilige Siedlung noch recht genau war, wurde sie weiter südlich immer ungenauer. Viele Siedlungen waren nicht markiert und daher gab es auch seitens der Regierung keinen Handlungsbedarf. Zum anderen aber gab es viele Vorbehalte seitens der Beduinen. Jede Zusammenarbeit mit einer Regierung wurde abgelehnt, administratives Vorgehen war ihnen fremd. Es war aber auch die Angst, Steuern zahlen zu müssen, oder zum Militärdienst eingezogen zu werden.
Dieser fehlende Nachweis des Eigentums, erwies sich 1952 als Bumerang. Die traditionellen Vorstellungen über «mein» und «dein» der Beduinen wurden vom Staat nicht anerkannt, die Gebiete fielen an den Staat.
Nach der Staatsgründung zogen immer mehr Einwanderer, Juden und Moslems nach Israel. Der junge Staat benötigte Land, um die Neuankömmlinge anzusiedeln. Im Negev gab es mehr als genug davon. Die Beduinen wurden gezwungen, sich innerhalb eines definierten Gebietes zwischen Beer Sheva, Arad und Yeroam neu anzusiedeln.

Ursprüngliche Siedlungsgebiete der Negev Nomaden und das neue ihnen zugewiesene Gebiet

Die neu errichteten Beduinenstädte im Gebiet des Reservates
Bereits seit den 60er Jahren gab es Bestrebungen seitens der Regierung, die Halbnomaden in neuen Kleinstädten anzusiedeln. Der gewünschte Erfolg blieb allerdings mehrheitlich aus. Die Städte Rahat, Laqiya, Hura,Negev Shalom, Tel Sheva, Ar’ara BaNegevund Kseifagehören zu den Gemeinden Israels, die die niedrigsten sozio-ökologischen Bewertungen verzeichnen. Diese Zahlen beziehen sich zwar auf das Jahr 2013, ich bin aber sicher, dass sie sich kaum signifikant verbessert haben. Al-Kasum, das sieben anerkannte Siedlungen umfasst und Neve Midbar mit vier anerkannten Siedlungen, schreiben leider auch keine Erfolgsgeschichten.
Gemeinsam mit den neun Beduinen Städten im Negev weisen zwei, überwiegend von Ultraorthodoxen besiedelte Orte, Beitar Illit und Modi’in Illit gleichfalls den niedrigst möglichen Faktor dar.
Auch wenn es derzeit im Süden des Landes relativ ruhig ist, das Problem der Beduinen in Israel ist dort noch lange nicht gelöst. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu gewaltsamen Räumungen von illegal errichteten «Siedlungen» durch die IDF. Immer gingen den Räumungen Aufforderungen voraus, in eine bewilligte Siedlung zu ziehen, oder sich zumindest an einem Ort niederzulassen, für den es eine Bewilligung geben würde. Nur in dem Fall stellt der Staat sicher, dass die normale Infrastruktur, wie Wasser, Strom, Abfallwesen, Anbindung an das Verkehrsnetz zur Verfügung gestellt wird. Sobald die legale Siedlung eine bestimmte Grösse erreicht wird auch eine Schule installiert und für die medizinische Versorgung Sorge getragen. In illegalen Siedlungen findet man all das nicht. Für eine minimale Stromversorgung sorgt dort der mit Solarstrom betriebene Generator, Wasser kommt mit dem Tankwagen, der Müll landet irgendwo in der Natur.

Wassertankwagen
Und weil die Schulen nur schwer zu erreichen sind, kommen Mädchen oft gar nicht in den Genuss einer minimalen Bildung, die Zahl der Maturanten ist erschreckend niedrig, Uni Absolventen gibt es kaum.
Und trotzdem, es gibt sie, die Beduinen, die sich loyal gegenüber Israel verhalten, das auch ihre Heimat ist. Die im Militär als Späher und Spurenleser vor allem an der Grenze zum Sinai unschätzbare Dienste leisten, und in dem sie hohe Ränge einnehmen. Und die, wie Ishmael Khaldi, den Weg ins diplomatische Corps finden. Für jeden einzelnen von ihnen müssen wir dankbar sein und jedem von ihnen unsere Unterstützung zusichern.
In den letzten Wochen fanden Mitglieder des Gahalin (Jahalin) Stammes, von denen schon vorher die Rede war wieder ihren Weg in die Presse. Im Zuge des Unabhängigkeitskrieges verliessen sie ab 1948 ihr traditionelles Siedlungsgebiet im Negev und zogen nach Norden, in das Gebiet zwischen Jericho und Jerusalem. Einer der Gründe war die fehlende Bereitschaft der Beduinen, mit den IDF zusammen zu arbeiten. Bei den anschliessenden teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen kamen einige Beduinen ums Leben. 1950 baten sie um Anerkennung als palästinensische Flüchtlinge bei der UNRWA.
Jordanien besetzte das Gebiet im Zuge des Unabhängigkeitskrieges und annektierte es später. Der Gahalin Stamm lebte damals auf jordanischem Staatsgebiet. Bereits kurz nach der Besatzung wurden allen auf diesem Gebiet siedelnden Personen die jordanische Staatsangehörigkeit und begleitende Massnahmen zur Wiederherstellung der Autonomie angeboten. Hierzu mehr im UNRWA Jahresbericht 51/52, Punkte II/13 und IV/66.
Im gleichen Jahresbericht hält der Direktor der UNRWA fest, dass es «schwer sei, wirkliche Flüchtlinge von arbeitslosen, bedürftigen (Ur)einwohnern oder einfachen nomadischen Beduinen (sic!) zu unterscheiden.»Die damalige Aussenministerin Golda Meir bezog sich in ihrer Rede vor der UN Generalversammlung vom 15.Dezemer 1961 nochmals auf diesen Text.
1967 gelang es Israel, die von Jordanien annektierten Gebiete zurück zu erobern. 1995 wurden im Zuge des Oslo II Abkommens die Gebiete von Judäa und Samaria aufgeteilt. Zone C umfasst 62% des Gebietes, ist aber nur von 6% der regionalen Bevölkerung bewohnt. 400.000 von ihnen sind Juden, 90.000 Araber. Zone C untersteht in allen Belangen der israelischen Rechtshoheit. Im Jahr 2014 wurden 550 Fälle von illegalen arabischen Bautätigkeiten berichtet, denen 150 durch jüdische «Siedler» gegenüberstanden. Israel besteht darauf, sowohl jüdische, als auch arabische illegale Siedlungen aufzulösen, oder, wenn dem Ansuchen nicht Folge geleistet wird, von den IDF abreissen zu lassen.
Wo auch immer das Abrisskommando aktiv wird, sind Menschenrechtsorganisationen und linke Aktivisten nicht weit. Sie begleiten jeden Schritt mit ihren omnipräsenten Kameras und sorgen via Internet für eine schnelle globale Verbreitung. Dokumentiert werden dabei natürlich nur das radikale Vorgehen, Hintergründe sind uninteressant und lassen sich schlecht verkaufen. Dabei ist es nicht so, dass die Betroffenen von jetzt auf gleich ohne Dach über dem Kopf dastehen. Jedem wird eine Alternative angeboten, sei es der bezahlte Umzug in eine bereits bestehende Siedlung, oder ein provisorischer Umzug, bis die neue Siedlung fertig ist. Oder auch eine finanzielle Entschädigung, wenn es wirklich ein «Haus» war, das abgerissen wurde.
Khan al Ahmar, die seit 2017 zur Diskussion stehende Siedlung liegt südlich der Schnellstrasse 1, die das Tote Meer mit Jerusalem verbindet. Sie verläuft ausschliesslich durch die Zone C und quert kurz vor Jerusalem das sogenannte E1 Gebiet. Dieses 12 qkm kleine Gebiet wurde im Laufe der Jahre auch immer wieder zu einem Diskussionsgegenstand zwischen Palästinensern und Israelis.
Für die Palästinenser gilt es als gesichert, dass dort eine Erweiterung der Stadt Ma’ale Adumim geplant ist, und damit endgültig die Trennung zwischen den beiden von ihnen beanspruchten Regionen Ost-Jerusalem, sowie Judäa und Samaria besiegelt werden würde. Dier Bebauungsplan existierte tatsächlich, wurde aber bereits 2009 eingefroren. Tatsächlich ist bereits eine Bypass Strasse im Bau, die die Verbindung zwischen diesen Gebieten für Palästinenser sichert, ohne, dass sie eine der zahlreichen Kontrollposten passieren müssten. Neue Pläne gehen entweder von einer touristischen Nutzung, oder von der Ansiedlung eines neuen Gewerbegebietes aus.

In der Siedlung, die objektiv betrachtet nicht mehr als eine zusammengewürfelte Sammlung von Wellblechhütten, Zelten und Holzverschlägen, leben derzeit etwa 180 Personen, davon 95 Kinder. In der Siedlung gibt es eine wirklich spannende Besonderheit: «The mud and tyre school». Diese Schule bietet 150 Kindern aus der Umgebung die Chance, regulären Unterricht zu erhalten. Vier Lehrer und eine Direktorin werden von der PA bezahlt. Der Schulbau besteht aus ausrangierten, mit nassem Lehm gefüllten Autoreifen, die die Struktur darstellen. Bezahlt wurde die Schule von einer italienischen NGO.

Es ist schade, dass mit der Siedlung auch das Schulgebäude verschwinden wird.
Die Siedlung, die in Steinwurfweite der belebten Schnellstrasse liegt, kann allein aus Gründen der Sicherheit für die Autofahrer nicht dortbleiben. Eine neue Ansiedlung, angebunden an die moderne Infrastruktur wurde in wenigen Kilometern Entfernung in Aussicht gestellt. Wohncontainer stehen bereit und warten auf ihren neuen Bewohner.

Gesamtansicht von Khan al Ahmar. Die Schnellstrasse ist links im Bild deutlich zu erkennen.
Ob die Scheichs des Gahaliden Stammes diesmal zustimmen, dass die Stammesmitglieder sesshaft werden? Ohne ihre Zustimmung wird sich nichts verändern, und der Aufschrei wird gross sein, wenn die Behausungen abgerissen werden.
Und ich bin sicher, in der neuen Siedlung wird es eine neue Schule geben, vielleicht nicht ganz so bunt, vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die jetzige. Aber auch sie wird ihrem Zwecke dienen.
© esther scheiner, israel